Zwischen Loyalität und Verrat – Drama im Rollenspiel

Drama im Rollenspiel

Drama ist ein großes Wort. Es klingt nach Bühne, nach Theatervorhang, nach Pathos. Aber im Pen & Paper-Rollenspiel bedeutet Drama oft etwas viel Intimeres. Es entsteht nicht nur im Kampf gegen Drachen oder wenn das Magazin Deiner Waffe nur noch eine Kugel hat, sondern mitten in der Gruppe – zwischen Charakteren, die einander nahestehen. Oder es zumindest versuchen.

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade Drama im Rollenspiel, in der dazu eingeladen wurde, über große Emotionen, kleine Konflikte und alles dazwischen zu schreiben. Ob als Theorie, Anekdote, Spielhilfe oder Gedankenfetzen – Hauptsache Drama. Und genau darum geht es hier: um spielerzeugtes Drama zwischen SCs. Um Verrat, Loyalität – und die Frage, ob man sich selbst treu bleibt oder der Gruppe.

Der Moment, als alles zerbrach

Wir spielten „Shadowrun“. Nicht diese neue Hochglanzedition, sondern altes, dreckiges Straßen-Shadowrun, das nach abgestandener Soymilch und verratener Ideale schmeckt. Jeder von uns hatte einen Charakter gebaut, der auf seine Weise kaputt war – keine Helden, sondern Leute mit Vergangenheit, Laster und vielen vielen Graustufen.

Mein Charakter: ein Ex-Cop, suspendiert wegen „übermäßiger Gewaltanwendung“, was nur die halbe Wahrheit war. Innerlich zerrissen, geplagt von Schuldgefühlen, mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit – zumindest für seine Version davon.

Die Gruppe war ein klassisches Söldnerteam: ein manipulativer Decker, dem kein System zu sicher war; eine stille Magierin mit dunkler Aura und schwer durchschaubaren Motiven; und ein knallharter Straßensöldner, brutal, aber erstaunlich idealistisch – der Typ, der in einem schlechten Film als Erster stirbt, aber der in Erinnerung bleibt.

Dann kam dieser Run.

Wir sollten einen jungen Whistleblower abliefern. Ein Niemand, der ein großes Geheimnis kannte. Die Anweisung: abliefern – oder erledigen. Keine Spuren. Kein Risiko. Leicht verdientes Geld. Doch der Typ war nicht mal zwanzig. Nicht bewaffnet. Und hatte Beweise, dass der Konzern Kinder für Testzwecke missbrauchte.

Mein Ex-Cop konnte das nicht. Sein moralischer Kompass, so verbogen er auch war, schlug plötzlich aus. Heimlich bereitete er eine Flucht vor. Ich spielte das offen aus, ließ nur kleine Andeutungen fallen, gab dem Team Hinweise – in der Hoffnung, sie würden mitziehen.

Aber der Decker roch den Verrat. Und meldete alles direkt dem Konzern. Für ein paar Nuyen und Prestige.

Am Ende standen wir auf einem Regen-durchweichten Dach, Helikopter über uns, Lichter, Maschinengewehrfeuer. Mein SC mit gezogener Waffe. Die Magierin auf alles gefasst. Der Söldner mit einem grimmigen Gesicht. Und der verräterische Decker dazwischen. Niemand drückte ab. Aber etwas ging zu Bruch.

Mit einem letzten Blick auf das ängstliche Gesicht des jungen Mannes im Konzern-Heli, den wir gerade dem Tode überlassen hatten, endete der Run.
Und auch der Abend.

Und weißt Du was? Es war großartig.

Wir erinnern uns oft an Kämpfe. An Erfolge. An kreative Lösungen. Aber dieser Moment war anders. Kein Erfolg im klassischen Sinne – aber ein emotionaler Höhepunkt. Wir verließen das Spiel mit einem Kloß im Hals und funkelnden Augen. Es war nicht die Geschichte eines Sieges. Sondern die eines moralischen Scheiterns. Und gerade das machte sie so stark.

Das Drama zwischen den SCs war nicht geplant. Es ergab sich organisch aus den Charakteren. Aus ihren Motivationen, Loyalitäten, Widersprüchen. Und es hatte Gewicht, weil wir es ernst nahmen. Weil wir einander vertrauten – auch wenn unsere Charaktere das nicht mehr konnten.

Wichtig: Outgame waren wir absolut fein miteinander. Wir haben nach der Session lange gesprochen – nicht um zu schlichten, sondern um zu feiern, wie krass das war. Wie gut es sich anfühlte, das Spiel zu spüren. Drama muss keine Zerreißprobe für die Spielrunde sein – im Gegenteil. Wenn man es richtig einsetzt, ist es ein verbindendes Element.

Drei kleine Tipps für großes Drama zwischen SCs

1. Klärt eure Grenzen vorher
Drama zwischen SCs kann heftig sein – emotional, verletzlich, intensiv. Deshalb: Safety first. Führt ein kurzes Gespräch vor der Kampagne. Gibt es No-Gos? Wie geht ihr mit Verrat, Gewalt, Manipulation um? Tools wie Lines & Veils, die X-Card oder eine Session Zero schaffen eine sichere Basis. Dann kann das Drama im Spiel entstehen, ohne die Stimmung am Tisch zu gefährden.

2. Spielt keine Einheitsbrei-Truppe
Drama entsteht aus Reibung. Baut SCs, die sich nicht sofort verstehen. Die unterschiedliche Ideale, Werte, Ziele haben. Gebt euren Figuren etwas, das sie voneinander trennt – und etwas, das sie verbindet. Loyalität ist nur spannend, wenn sie herausgefordert wird. Unterschiedliche Meinungen machen das Spiel lebendig – wenn man sie respektvoll ausspielt.

3. Lasst Entscheidungen Konsequenzen haben
Wenn Verrat passiert, muss es Auswirkungen geben. Wenn jemand aus der Gruppe lügt, trickst oder sich selbst an erste Stelle stellt – dann darf das nicht folgenlos bleiben. Konsequenzen machen Drama bedeutsam. Und sie geben dem Spiel Tiefe. Auch wenn das bedeutet, dass eine Kampagne vielleicht endet oder ein Team zerbricht – manchmal ist das der beste Weg, eine Geschichte zu erzählen oder zu beenden.

Drama? Immer her damit.

Drama zwischen SCs ist kein Fehler im System – es ist ein Feature. Es ist der Moment, wenn aus Zahlen auf dem Charakterbogen echte Persönlichkeiten werden. Wenn man nachdenkt, bevor man handelt. Wenn man spürt, dass diese Entscheidung wichtig ist – nicht, weil sie die Story rettet, sondern weil sie etwas kostet.

Natürlich ist das nicht für jede Runde passend. Nicht für jeden Stil. Aber wenn Du Drama willst – echtes, spürbares Drama – dann ermutige Deine Mitspielenden, ihre Charaktere auch mal streiten zu lassen. Entscheidungen zu treffen, die wehtun. Risiken einzugehen. Und dann gemeinsam durch dieses emotionale Feuer zu gehen.

Denn das sind die Momente, an die man sich erinnert.

2 Comments

  1. Schöner Artikel, hat mir sehr gut gefallen. Ich stimme allem zu, was du in der zweiten Hälfte schreibst: Drama zwischen SCs ist tatsächlich ein Feature. Meine liebsten Erinnerungen sind an Szenen, in denen wir uns angeschrien oder eiskalt angeschwiegen haben, während wir gleichzeitig bei bester Laune am Spieltisch saßen.
    Danke für den tollen Beitrag zur Blogparade.

    • Danke 🙂
      Bei Büchern und Filmen denke ich mir oft „Schon wieder unnötiges Drama!“ … aber beim Rollenspiel finde ich es super wichtig.

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